Auf die kurze Stellungnahme einer Vertreterin der LINKEN…
„Ich verstehe Eure Argumentation, finde aber NICHT ok, dass ihr Euch damit zufrieden gebt, wenn Werkarbeiter weniger als Tariflohn erhalten. Es tut not, hierüber eine Debatte zu führen und das auch für die deutsche Öffentlichkeit, die so etwas nicht hinnehmen will. IHr wisst wahrscheinlich, dass die LINKE einen gesetzlichen Mindestlohn für ALLE fordert, die in Deutschland arbeiten, und ich denke, so eine Forderung muss durchgesetzt werden, damit Zwangs- und Sklavenarbeit, Lohndrückerei, Rechtlosigkeit etc. beendet werden. Ich versehe das Interesse der aus der Türkei stammenden Arbeitskräfte, aber ohne die Durchsetzung solcher Forderungen ist es sehr schwer, ihre Rechte durchzusetzen, weil man dann jedes Mal den Gerichtsweg beschreiten muss“.
… ist die folgende Antwort entstanden:
„Die Debatte zu Tarifverträgen und Mindestlöhnen ist eine genauso wichtige wie schwierige, die wir schon viel geführt haben und immer weiter führen. Also lasst uns diskutieren!
Ich kann hier nur meinen persönlichen aktuellen Standpunkt (der eher einer Zwickmühle gleicht;) ), versuchen darzustellen.
Ich verstehe die Argumentation, dass ein Mindestlohn zum Kampf gegen Unterbezahlung und zur Ermächtigung betrogener Arbeiter nützlich ist. So pochen die klagenden Werkvertragsarbeiter ja gerade auf den Tariflohn im Baugewerbe, dieser macht ihnen höhere Forderungen möglich und erleichtert den Beweis des Lohnbetruges.
Die Intention unserer Aktivitäten ist es in erster Linie, die betrogen Arbeiter bei ihrem Kampf gegen den Betrug an ihnen zu unterstützen; d.h. uns bewegen in erster Linie die Interessen der Arbeiter statt gesetzlicher Regelungen, die (so gut gemeint sie auch sein mögen) potentiell auch einem „Mehr an Repression und Kontrolle“, statt einem „Mehr an Menschlichkeit“ in die Hände spielen könnten. Wir sind uns dabei aber wie gesagt auch der Schwierigkeit dieser Frage sehr bewusst und befinden uns in anhaltender Diskussion darüber.
Meiner Erfahrung nach wären die Arbeiter mit dem jeweils ausgemachten Lohn zufrieden und sehen den Tariflohn als unrealistisch an. Wenn sie bei einer Razzia des Zolls gefragt werden, wieviel sie verdienen, antworten sie evtl auch noch mit einer Lüge, wenn nicht nur Tariflohn sonder auch ihr ausgemachter Lohn schon lange unterschritten wird. Sie wissen: fliegt der Schwindel auf, werden sie abgeschoben. Der Tariflohn erleichtert es also ihren Arbeitgebern, sie unter Druck zu setzen und erschwert den Arbeitern die Aufdeckung des „tatsaechlichen“ Betruges, der Unterwanderung des ausgemachten Lohnes. Ich bin gegen beiderlei Druck: von Seiten der Arbeitgeber wie von Seiten der Gesetzgeber- und vollzieher.
In dem Artikel „Widerstand auf der Baustelle- Ein ethnographisches Fallbeispiel zur Aushandlung transnationaler Realitäten der Werkvertragarbeit in München und Istanbul“, von Philipp Zehmisch und Lisa Riedner für den Katalog der Ausstellung Crossing Munich geschrieben, argumentieren wir, dass Tariflöhne auch als Mittel der Protektion des deutschen Arbeitsmarktes gegen „Konkurenz aus dem Ausland“ und als eine Förderung von Illegalisierung gesehen werden können:
„Tarifvertraglichgeregelte Arbeitsrechte wie etwa der gesetzliche Mindestlohn der Branche (im Baugewerbe sind das 12,40 Euro), eine 38-Stunden-Woche, Urlaubsanspruch und Sozialleistungen werden auch
WerkvertragsarbeiterInnen gewährt. Verschiedene, sich teilweise widersprechende Interessen führen zur Gewährung dieser Rechte. Ein
dominantes Argument im öffentlichen Diskurs ist folgendes: Alle
ArbeiterInnen sollten zu geregelten und fairen Bedingungen arbeiten,
ungeachtet ihrer Nationalität. In Realität gleicht die Gewährung
der tarifvertraglichen Rechte aber eher einer Subventionierung des
deutschen Arbeitsmarktes zum Schutz „einheimischer“ Arbeiter.
„Der Türke wäre nicht hier, wenn der Tarifvertrag eingehalten
werden würde“, stellte denn auch ein Gewerkschafter fest. Hier
zeigt sich eine zweifache Stoßrichtung der gewerkschaftlichen
Forderung nach der Anwendung des Tarifvertrags auch auf
WerkvertragsarbeitnehmerInnen: Einerseits zielt die Forderung auf den
humanitären Schutz der Arbeitsbedingungen aller ArbeitnehmerInnen
ungeachtet ihrer Herkunft, andererseits ist sie jedoch rassistisch
konnotiert und zielt auf den Schutz des deutschen Arbeitsmarkts vor
AusländerInnen – oder eben „dem Türken“ – ab. Der Gewerkschafter weiter: „Die Leute sagen nicht „Der Ali stört mich“ oder „Der Frederico stört“, sondern sie wissen, dass er billiger ist, das stört die Leute. Sie haben Angst, dass noch mehr rüberkommen und den Markt kaputt machen. Sie machen den Markt nicht kaputt, sondern die Auftraggeber machen den Markt kaputt. Auf der Baustelle: Sie nehmen uns die Arbeitsplätze weg. Das hat nichts mit rechter Gesinnung zu tun, sondern ist das was auffällig ist.“
Häufig wird der Tarifvertrag jedoch nicht eingehalten. Neben dem Schutz aller ArbeitnehmerInnen und dem Schutz des nationalen Arbeitsmarktes erfüllt er so noch eine dritte Funktion: Zusammen mit den restriktiven Migrationskontrollen führt er – oder seine Unterwanderung – zu illegalisierten Arbeitsverhältnissen und somit zu flexibler und prekärer Arbeitskraft.“