[Dieser Text beruht auf einem Brief, den wir in Bezug auf das Projekt „Zwangsarbeit heute“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte geschrieben haben.]
Wir möchten gerne einige Fragen aufwerfen, die uns im Bezug auf eine politische Arbeit mit Begriffen wie „Zwangsarbeit“, „Moderne Sklaverei“ und „Menschenhandel“ wichtig erscheinen und eine kritische Diskussion über diese Fragen anregen.
Denn wir befürchten, dass die inhaltliche und thematische Bezugnahme auf solche Begriffe dazu beitragen könnte, bestehende Stereotypisierungen innerhalb des europäischen Migrationsdiskurses zu verdinglichen. Dadurch besteht die Gefahr, restriktive Tendenzen der staatlichen Kontrolle und Regulierung ungewollt zu verschärfen. Genannte Tendenzen beinhalten eine Aberkennung der Handlungsmacht der Betroffenen (Viktimisierung), sowie eine Kriminalisierung der (illegalisierten) Migration und arbeiten unserer Meinung nach auf diese Weise den Interessen der Betroffenen entgegen. (Bahl/Ginal 2009, Diskurse um „Menschenhandel“ und ihre Bedeutung für die Regulierung feminisierter Migration. Unveröffentlichte Magisterarbeit).
Opferschutz heißt dann meistens Rückkehrhilfe statt Prozesskostenhilfe und Aufenthalt.
Im Rahmen der vorgegebene Menschenfreundlichkeit des “Opferschutzes” werden auch NGOs mit an den Tisch geholt, welche, oft ungewollt, zur zunehmenden Kontrolle der MigrantInnen beitragen.
Außerdem läuft in unseren Augen eine Konzentration von wissenschaftlicher und aufklärerischer Arbeit auf die allerschlimmsten Fälle Gefahr, öffentliche Stimmungen, welche Migration als Bedrohung sehen , zu verstärken oder zu stützen. Bei der WM 2006 war beispielsweise in den Medien von 40 000 Zwangsprostituierten die Rede, wirklich aufgedeckt wurden 5 Fälle (Bahl/Ginal 2009).
Letztlich ist unsere große Sorge, dass eine -durch den wissenschaftlichen und menschenrechtlichen Diskurs bewusst oder unbewusst unterstützte- Kriminalisierung von Migration und Migrationshilfen von den politischen Bedingungen ablenkt, die letztlich genannte menschenverachtende Praktiken zu einem erheblichen Anteil mit produzieren.
Wir zweifeln den Begriff des “Menschenhandels zum Zwecke der Zwangsarbeit”, wie er von Norbert Cyrus in der Studie im Auftrag der ILO Menschenhandel und Arbeitsausbeutung (2005) und dem Projekt „Zwangsarbeit heute“ des Deutschen Instituts für Menschenrechte in der Studie Menschenhandel in Deutschland verwendet wird, an.
Nach unseren Erfahrungen ist die folgende Definition des negativ konnotierten Begriffes „Menschenhandel“ -gemessen an der Lebeswirklichkeit der „Betroffenen“- nicht adäquat: „Wenn Migration mit Nötigung, Überredung oder Täuschung zum Zweck der Ausbeutung einher geht, handelt es sich um Menschenhandel“ (Cyrus S.2). Das online wirtschafslexikon Gabler definiert: „In einer arbeitsteiligen Volkswirtschaft übernimmt der Handel die Aufgabe, räumliche, zeitliche, qualitative und quantitative Spannungen zwischen der Produktion und der Konsumtion auszugleichen. In diesem weit gefassten Verständnis ist jeder Austausch von Gütern- und Dienstleistungen Handel […]” Grob könnte man Menschenhandel so auch als Austausch von Menschen (i.A. menschlicher Arbeitskraft) unter Marktverhältnissen bezeichnen.
Die Frage, ob also nicht jede Lohnarbeit als Menschenhandel betrachtet werden kann, wollen wir hier aber nicht weiter verfolgen.
Allerdings scheint uns die mitschwingende Passivität der „Ware Mensch“, mit der „menschengehandelt“ würde, nicht auf die Wirklichkeit zuzutreffen. Auch bei den Werkvertragsfällen sehen wir Menschenhandel im Sinne Ihrer Definition nicht gegeben; nicht zuletzt weil die Arbeiter sich freiwillig für die Aufnahme ihres Arbeitsverhältnisses in Deutschland entschieden und letztendlich immer Herr ihrer selbst bleiben, auch wenn „Nötigung, Überredung oder Täuschung“ stattfindet. Einschränkung ihrer Handlungsmacht sehen wir ursächlich vielmehr durch einseitige, restriktive staatliche Kontrollmechanismen gegeben, als durch mafiöse Energien ihrer Arbeitgeber (denen z.B. die gesetzliche Bindung der Aufenthaltsgenehmigung an das Arbeitsverhältnis ein geradezu perfektes Instrument der Einschüchterung an die Hand gibt).
Es ist außerdem wichtig, die Phänomene Menschenhandel, Zwangsarbeit und illegale Migration zu unterscheiden. Zwangsarbeit ist meist (Ausnahmefälle wollen wir nicht abstreiten!) nicht mit Menschenhandel verbunden und wiederum nur ein kleiner Teil illegalisierter Migration kann (wenn überhaupt) als Menschenhandel bezeichnet werden.
Einige der Praktiken von Zwangsarbeit (oder lieber Arbeitsausbeutung), die Norbert Cyrus in seiner Studie für die ILO beschreiben, finden sich auch in den von uns begleiteten Fällen wieder. So etwa das „Zurückhalten von Originaldokumenten”, „Androhung der Kündigung”, „Anweisungen, wie im Fall von Kontrollen zu reagieren ist”, „Vorenthaltung gesetzlicher Ansprüche”, „Auszahlung eines zu niedrigen Lohns”, „keine Überstundenbezahlung”, „Dokumente wie Lohnabrechnungen oder Arbeitsverträge werden nicht ausgehändigt”, „medizinische Versorgung ist nicht gesichert”, „Manipulation von Dokumenten”, „Verträge in zwei Varianten”, „Zurückdatierung von Kündigungen”, „Einbehalten von Sicherungsbeträgen”, „falsche Ausweisung der Arbeitszeit auf der Lohnabrechnung”, „Entlassung nach Beschwerde durch die Arbeitnehmer”, „Entlassung im Fall von Krankheit oder Unfall”, „Androhung von Gewalt”, etc etc.
Trotz dieser zahlreichen Überschneidungen in der Praxis gefällt uns auch die Bezeichnung Zwangsarbeit nicht, da auch sie die völlige Hilflosigkeit der “Opfer” suggeriert. Wie die von Cyrus erwähnten WissenschaftlerInnen (Jörg Alt etc) ziehen auch wir Begriffe wie „massive“ oder „gravierende Ausbeutung der Arbeitskraft“ vor (Cyrus 14).
Wir verstehen das Argument, dass die Definition eines Gesetzes zu „Menschenhandel zum Zwecke der Zwangsarbeit“ die strafrechtliche Verfolgung und tatsächliche Verurteilung von (über)ausbeuterischen Beschäftigungsverhältnissen erleichtert. Doch glauben wir, dass hier nicht die Verfolgung von Straftaten, sondern das Interesse der Betroffenen und ihre Menschenrechte im Mittelpunkt stehen sollten.
Denn unserer Meinung nach ist eine restriktive Migrationspolitik, die in erster Linie Vorteile für die europäische Wirtschaft sowie eine Stärkung der nationalen Sicherheit verfolgt und durch populistische Parolen versucht, Wählerstimmen zu mobilisieren, verantwortlich für die Einschränkungen der Handlungs-Freiheit und der Menschenrechte der betroffenen migrantischen ArbeiterInnen.
Petra Follmar-Otto und Heike Rabe geben in der Studie „Menschenhandel in Deutschland – Die Menschenrechte der Betroffenen stärken“ im Rahmen des Projektes „Zwangsarbeit heute“ Empfehlungen zum erfolgreichen Schutz der Menschenrechte der Betroffenen.
Auch wenn nicht nur die Schaffung einer besseren Rechtspraxis zu unseren Zielen gehört, stimmen wir mit der folgenden Aussage überein: “Im Mittelpunkt steht das Ziel, über Musterprozesse eine Rechtspraxis zu schaffen, die den Opfern die Durchsetzung ihrer Rechte ermöglicht und auf diese Weise auch eine präventive Wirkung entfaltet” (Follmar-Otto/Rabe 2009: 6).
Im Hinblick auf eine Stärkung der Interessen der (in den bestehenden politischen Gegebenheiten oft ausgebeuteten) migrantischen Arbeiter und Arbeiterinnen halten wir aber folgende Bestrebungen für sehr problematisch:
* mehr Strafverfolgung
* Verselbstverständlichung der Verbindung von Menschenhandel, Zwangsarbeit und ausbeuterischen Praktiken
* Zusammenarbeit von Gewerkschaften und nicht-staatlichen Gruppen mit FKS, wenn dies zu vermehrten Kontrollen und Abschiebungen illegalisierter Arbeiter führt
Eine Lockerung des Migrationsregimes und eine Stärkung ihrer Rechte könnte migrantische Arbeiter hingegen in ihrer Selbstbestimmung und in ihren Widerstandsmöglichkeiten stärken. Hierfür sollte -so denken wir- auch die diskursive Verbindung von Menschenhandel, Zwangsarbeit und ausbeuterischen Praktiken durchbrochen werden.
Wir unterstützen also die folgenden Forderungen:
* Vermeidung der Bindung der Aufenthaltsgenehmigung an ein konkretes Arbeitsverhältnis
* keine Beschränkung der Freizügigkeit und Rechts auf Verlassen des eigenen Landes im Namen der Verhinderung von Menschenhandel (für bestimmte Gruppen)
* keine Knüpfung des Aufenthalts an den Zeugenstand (nach einmonatigem Opferschutz)
* kein Drängen zur Rückkehr ohne eine Aufklärung über mögliches Bleiberecht
* Eröffnung legaler Migrationsmöglichkeiten
* Verfahrenserleichterungen
*Aussetzung der Meldepflicht von Arbeitsgerichten an Ausländerbehörden
* Aufklärungsprogramme in den jeweiligen Sprachen von staatlicher Seite, NGOs und Gewerkschaften, sowie
* Gewährung von Prozesskostenhilfe
Statt neue Restriktionen zu fordern oder durch kriminalisierende Konzepte zu ermöglichen, sollten wir nach unserer Auffassung vielmehr die Rassismen und staatlichen Praktiken unter die Lupe nehmen, die die Handlungs- und Widerstandsmöglichkeiten der migrantischen Arbeiter einengen.