Unser Freund und Mitstreiter Hristo Vankov ist am 5.10.17 im Krankenhaus der Stadt Pazardzhik in Bulgarien an den Folgen einer Diabeteserkrankung gestorben. Er wurde 57 Jahre alt. Der Tod Hristos, der trotz seiner eigenen Not anderen gegenüber immer solidarisch war und bei Protesten für das Recht auf Wohnraum und soziale Absicherung regelmäßig vorne mit dabei war, macht uns unsagbar traurig, fassungslos und auch zornig.
Hristo war 1960 im bulgarischen Pazardzhik geboren worden. Viele Jahre lang hatte er dort für eine staatliche Firma Wasserleitungen verlegt und gewartet, bis er Ende der 1990er Jahre arbeitslos wurde. Nach der Trennung von seiner Frau, mit der er zwei Söhne hatte, zog er zu seinem Bruder. Doch bald musste er der wachsenden Familie seines Bruders Platz machen. Um das Jahr 2004 entschloss er sich nach München zu kommen, wo viele seiner Freundinnen und Freunde bereits lebten und arbeiteten. Hier schlug er sich mit prekären Jobs im Bau- und Reinigungsgewerbe durch. 13 Jahre lebte er fast durchgängig auf der Straße, nur hin und wieder fand er eine vorübergehende Bleibe. Durchzuhalten war dies offenbar nur, weil er nicht alleine war, sondern sich durch dieses harte Leben gemeinsam mit Freundinnen und Freunden kämpfte, die sich ebenfalls am Rande der Stadtgesellschaft durchschlagen mussten. Doch die Entbehrungen auf der Straße setzten seinem Körper zu, machten ihn langsam kaputt. Regelmäßig verlor er wegen seiner Diabeteserkrankung das Bewusstsein und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Ohne Krankenversicherung erhielt er aber keine reguläre, kontinuierliche Behandlung und das entbehrungsreiche Leben auf der Straße tat das seinige.
Wie kann das sein – Lebensverhältnisse, die töten, mitten im wohlhabenden München, in einem Deutschland, in dem nach dem Grundgesetz jede Person Anspruch auf ein Existenzminimum hat? „Ich bin kein Mensch zweiter Klasse, oder?“ ließ Hristo schon im Rahmen einer Fotoausstellung 2010 auf die Sprechblase aus Pappe schreiben, die er neben sich stellte, während er sich in einem Hausaufgang auf dem Boden liegend fotografieren ließ. Eine Frage — und eine Anklage.
Sowohl die Bundesrepublik wie auch die Stadt München schränken das Recht auf ein Existenzminimum, auf körperliche Unversehrtheit und Würde für EU-Migrant*innen immer weiter ein. „Migrationspolitisches Aushungern“, so hat Claudius Voigt den Ausschluss von Unionsbürger*innen aus dem Hartz IV, von Sozialhilfe und Notunterbringung bezeichnet; denn Ziel dieser Ausschlüsse ist es, von Armut betroffene Migrant*innen abzuschrecken.
Hristo bekam zwar Insulin von der Kirche und im Winter konnte er in der städtischen Kälteschutzeinrichtung schlafen – mit dieser humanitären Nothilfe schaffte er es über einige Jahre von Tag zu Tag über die Runden zu kommen. Es reichte aber nicht, um den Teufelskreis – keine Wohnung also keine Arbeit also keine soziale Absicherung also keine Wohnung – zu durchbrechen. Aber Hristo gab nicht auf, sondern kämpfte unermüdlich weiter.
Bereits seit 2010 arbeitete Hristo mit uns von der Initiative Zivilcourage zusammen. Beispielsweise bei den Kampagnen gegen Polizeirepression und für das Recht auf Unterbringung war er ganz vorne mit dabei. Mehrmals unterstützten wir ihn in Konflikten mit Arbeitgebern, dem Wohnungsamt und dem Jobcenter. Wir versuchten, seinen Anspruch auf soziale Leistungen durchzusetzen. Dieses Jahr im August klagten wir erfolgreich um seine Notunterbringung gegen die Stadt München. Das Gericht stellte fest, dass die aktuelle Ausschlusspolitik der Stadt München gegen das Gesetz verstößt. „Mutiger Mann – Obdachloser erkämpft vor Gericht eigene Unterkunft“ titelte die österreichische Zeitung Der Standard.
Mitte September reiste Hristo kurzfristig nach Bulgarien um dort Dokumente zu besorgen, die hier von ihm verlangt wurden. Dort musste er überraschend ins Krankenhaus, wo er kurz darauf verstarb. Unser mutiger Mitstreiter und Freund Hristo Vankov lebt nicht mehr! Wir werden ihn nicht vergessen und weiter vehement für Wohnraum und ein gutes Leben für Alle eintreten. Wir werden laut werden für und mit den Menschen, die diese Gesellschaft im Schatten ihres Reichtums einfach sterben lässt.
Hier der Nachruf an Hristo Vankov von Thomas Anlauf in der Süddeutschen Zeitung vom 21/22.10.2017.