Verurteilung wegen Lohnbetrug: Unternehmen muss zahlen!

Zwei der klagenden Werkvertragsarbeiter aus der Türkei haben ihren Prozess gewonnen!
Ausserdem ist es zu weiteren skrupellosen Aktionen des Unternehmens gekommen.

Wir bitten Euch, hierüber zu berichten und die folgenden Kontaktdaten der Initiative für Zivilcourage zu veröffentlichen, damit sich betroffene Arbeiter an uns wenden können.

Initiative für Zivilcourage, Kulturzentrum Wörthhof, Wörthstr 10, Tel: 089 28805664 (Oguz Lüle)

Pressemitteilung der Initiative für Zivilcourage – 15.01.2010

Verurteilung wegen Lohnbetrug: Unternehmen muss zahlen!

Zwei türkische Werkvertragsarbeiter haben erfolgreich ihren ausstehenden Lohn von etwa 3000 Euro erklagt, so verkündete das Arbeitsgericht München am Mittwoch, den 13. Januar 2010. Nihal Ulusan, die Anwältin der Arbeiter, konnte den geprellten Arbeitern ihren Lohn erstreiten – trotz raffinierter Fälschungsmethoden und skrupelloser Bedrohungen von Seiten der Unternehmer.
Weitere Arbeiter erstritten Lohnsteuerrückvergütungen von bis zu 2000 Euro, die das Subunternehmen in die eigene Tasche stecken wollte.
“Nach langem Kampf in den Mühlen der Gerichtsbarkeit und der Bürokratie werden diese ersten Erfolge gegen die betrügerischen Subunternehmen den noch klagenden Arbeitern Mut geben, den Einschüchterungsversuchen ihrer ehemaligen Arbeitgeber weiter zu trotzen. Jede/r betrogene Arbeiter_in, der nun einen Lichtblick sieht, kann sich gerne an die Initiative für Zivilcourage
wenden!” so Lisa Riedner, Mitbegründerin der Initiative.
Die Anwältin und Oguz Lüle, Unterstützer der Arbeiter, hielten Bestechungsversuchen und Verleumdungen ihrer Person stand. Einer der siegreichen Arbeiter war mit erpressten Schuldscheinen dazu gezwungen worden, ihnen Korruption vorzuwerfen. In Anwesenheit eines SPD-Stadtrats hatte der Anwalt des Unternehmens Oguz Lüle Geldspenden in Aussicht gestellt.
“Eine wirkliche Verbesserung der Lage der Arbeiter kann es aber nur durch eine Änderung der rechtlichen Grundlagen geben. So schlagen wir unter anderem vor, daß den Werkvertragsarbeiternehmer_innen ein Arbeitgeberwechsel im Rahmen ihrer Aufenthaltserlaubnis freigestellt werde sollte”, so die Initiative für Zivilcourage.

Wieso haben 44 Werkvertragsarbeiter Klage erhoben?
Im Mai 2009 haben 44 türkische Bauarbeiter am Münchner Arbeitsgericht Klage wegen Lohnbetrug und misslichen Arbeitsbedingungen gegen ihre Arbeitgeber erhoben. Ihnen wurde weder der gesetzliche Mindestlohn von 12,85 noch der mündlich vereinbarte Lohn von meist 4,50 Euro die Stunde ausgezahlt. Stattdessen erhielten sie meist nur etwa drei Euro Stundenlohn; sie mussten überdies massiv Überstunden leisten und haben keinen Urlaub
erhalten. Des Lesens und Schreibens sind einige der 44 Arbeiter kaum mächtig. Alle mussten mehrere Blankounterschriften (Kontovollmacht, Schuldscheine, Urlaubsantrag, Zahlungsnachweise etc.) leisten, mit denen das Subunternehmen in der Lage war, offizielle Dokumente – vom Stundenzettel bis zu Zahlungsnachweisen – zu fälschen. Somit täuschten die
Arbeitgeber einerseits ein legales Vorgehen des Unternehmens vor, schafften sich aber gleichzeitig auch Möglichkeiten, die ArbeitnehmerInnen unter Druck zu setzen.

Werkvertragsarbeiter1 dürfen nur für einen begrenzten Zeitraum (6 – 24 Monate) in ausgewählten Sektoren (Bau, Gebäudereinigergewerbe etc.) arbeiten. Ihre Aufenthaltserlaubnis ist an das Arbeitsverhältnis gebunden: Die Aufenthaltsgenehmigung erlischt mit Ablauf des Arbeitsvertrages, ein Arbeitsplatzwechsel ist ausgeschlossen. Tarifvertraglich geregelte Arbeitsrechte müssen (theoretisch) auch Werkvertragsarbeitern gewährt werden – wie dieser Fall zeigt, werden sie aber häufig systematisch umgangen. Zusätzlich untermauert die Koppelung der Aufenthaltserlaubnis an ihren Arbeitsvertrag – sie konnten sich also keine andere Arbeit suchen,
ohne in die aufenthaltsrechtliche Illegalisierung zu rutschen – und der Mangel an politischer und juristischer Vertretung die Abhängigkeit und Prekarität des Arbeitsverhältnisses institutionell. Im Gegensatz zu vielen anderen WerkvertragsarbeiterInnen entschlossen sich die 44 türkischen Bauarbeiter – nach einer Razzia des Zolls – Widerstand zu leisten und Klage zu erheben. Am 3. Juli 2009 war der erste Verhandlungstag ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht München. Die Männer waren, ohne Arbeitsverhältnis und somit mit erloschener Aufenthaltsgenehmigung, längst wieder in der Türkei.

Wie reagierten die Verantwortlichen auf diesen skandalösen Fall von Betrug nicht nur um Lohn, sondern auch um Arbeits- und Menschenrechte?
– Der Subunternehmer bedrohte die Arbeiter und ihre Familien in der Türkei systematisch mit gefälschten Schuldscheinen, um die Rücknahme ihrer Klage zu erpressen. Gleichzeitig zweifelten sie die gefaxten Vollmachten der Arbeiter vor Gericht an, so dass ihre Anwältin neue Vollmachten von den oft analpabetischen und eingeschüchterten Arbeitern in der Türkei erfragen musste. Ausserdem setzten sie einen Arbeiter unter Druck, eine vorverfasste Aussage zu unterschreiben, die die Anwältin und einen weiteren ehrenamtlichen Unterstützer der Arbeiter der Korruption und eigennützlichen Verschwörung beschuldigte. In Deutschland tauchte das Subunternehmen zunächst unter und arbeitet mittlerweile wohl unter anderem Namen weiter.
– Die Generalunternehmen, die trotz allgemeiner Bekanntheit der Zustände offenbar ohne kritisches Hinterfragen dem konstengünstigsten Subunternehmen den Zuschlag gaben, streiten jede Verantwortung ab. Über die Bau-Bilanz der Subunternehmen wären die Arbeitsverhältnisse jedoch leicht auf Lohnbetrug hin zu untersuchen gewesen.
– Die Auftraggeber, unter ihnen der ADAC, entziehen sich ebenso jeder Verantwortung. Der Münchner Immobilien Gruppe wurde von Oberbürgermeister Christian Ude am Richtfest zur Fertigstellung der Skyline Tower sogar noch zum aussergewöhnlich schnellen Bau der Türme
gratuliert2.
– Die Arbeitsrichter schienen sich bis jetz wenig für die Fälle zu interessieren. Sie gaben bisher allen Anträgen des Subunternehmer-Anwalts Recht und verlangten offenbar was nur möglich ist von der Anwältin3 der Arbeiter. Die Richter gewährten bisher auch keine Prozesskostenhhilfe, so dass die Anwältin auf ehrenamtlicher Basis arbeiten muss.
– Die Staatsanwaltschaft hat bis jetzt keine Anklage gegen die Unternehmen erhoben.
– Die Gesetzgeber zeigen kein Interesse, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu Gunsten der Arbeiter zu reformieren.
Bei Fragen oder bei Interesse an unseren Vorschlägen zur Veränderung dieser unhaltbaren Situation, kontaktieren Sie uns bitte:
Initiative für Zivilcourage
Kulturzentrum Wörthhof
Wörthstrasse 10
81667 München
Tel: 089 28805664
089 44454158
— Ende der Pressemitteilung —

1 Die Arbeiter kamen im Rahmen von Werkvertrags-Arbeitsverhältnissen aus der Türkei nach München. Werkvertragsarbeit basiert seit 1988 auf bilateralen Abkommen zwischen Deutschland und elf Ländern Osteuropas sowie der Türkei. Grundlage ist die Entsendung ausgehandelter Kontingente von Werkvertragsarbeitern aus den jeweiligen Vertragsländern nach Deutschland. Die Arbeiter lassen sich von Subunternehmen rekrutieren, die den organisatorischen Part der Entsendung und des Aufenthalts übernehmen um, ähnlich wie Zeitarbeitsfirmen in Deutschland, die „Arbeitskraft“ an andere Unternehmen weiter zu vermieten.

2 Pressemitteilung der Schörghuber Unternehmensgruppe vom 28.07.2009: http://www.schoerghuberunternehmensgruppe.
com/html/presse/meldung_alles.php?flash=&js=&press_id=1563&actual=&category_id=5&year=2009
3 Interview mit Anwältin Ulusan in SZ, 26.10.2009 : “Die Unternehmen sind professionell kriminell.” URL:
http://www.sueddeutsche.de/jobkarriere/352/491716/text/