Protest gegen Räumung der Wohnstätten obdachloser Menschen am 29.11.2018

Die Wohnstätten obdachloser Menschen in München wurden heute morgen unter Protest geräumt. Die Räumung wurde von ca. 60 Protestierenden kritisch begleitet. Vasil Damyanov (25) sagte: „Es ist Teil meines Lebens geworden dafür zu kämpfen, dass ich wie andere auch in einer menschenwürdigen Unterbringung leben kann. Ich möchte genauso leben wie andere auch, in einer ruhigen Atmosphäre und in einer normalen Wohnung, wie es für die meisten Bürger dieser Stadt normal ist. Das ist mein größter Wunsch, und der Wunsch aller, die hier protestieren. Wir sind gezwungen, ständig umzuziehen, müssen tagsüber und nachts immer den Ort wechseln. Ich will, dass das bald vorbei ist. Ich will endlich mein noch junges Leben in einer würdigen Form weiterleben.“

Am frühen Morgen des 29. November 2018 wurden in einer konzertierten Aktion von Sozialrefereat, Kreisverwaltungsreferat und Baureferat der Landeshauptstadt München mehrere Wohnstätten obdachloser Menschen – unter anderem unter der Reichenbach- und der Wittelsbacherbrücke – geräumt. Obwohl die Räumung offiziell mit der vorgeblichen Abwendung von Gefahren für die dort lebenden Menschen begründet wurde, war die Stadt mit vielen dort lebenden Menschen zuvor nicht in Kontakt getreten, lediglich Räumungsankündigungen wurden ausgehängt (datiert auf den 14.11.2018). Initiiert durch einige von der Räumung betroffene Personen organisierte die Kampagne WirWollenWohnen Protest gegen die Räumungsarbeiten unter dem Motto  ‚Armut bekämpfen, nicht Arme!‘. Aus Sicht der Kampagne ist es nicht hinnehmbar, Menschen in extrem prekären Lebenslagen mit staatlicher Repression zu begegnen, wir fordern vielmehr Solidarität und konkrete Unterstützungsangebote! Bislang hatte die Stadt München die Schlafstätten geduldet und bei ihren ‚Aufräumaktionen‘ zumindest mehr oder minder das Eigentum der Bewohner*innen respektiert (auch hierbei kommunizierte die Stadt aber bereits nicht deutlich mit allen Betroffenen), nun will sie Menschen ohne Obdach jedoch rückhaltlos aus dem Stadtbild verschwinden lassen. Betroffene werden sich aber wohl nicht dauerhaft vertreiben lassen – die Repression wird ihnen ihr Leben jedoch noch schwerer machen. Die Landeshauptstadt München verweist zwar auf Notschlafstellen im Kälteschutzprogramm, schafft damit aber keine wirklichen Unterbringungsplätze, sondern leistet nur ein Mindestmaß zur Sicherung des nackten Überlebens. Wie u.a. die gewonnene Klage von Hristo Vankov (August 2017) auf eine reguläre Unterbringung zeigt, ist die Stadt tatsächlich auch rechtlich verpflichtet, alle akut obdachlosen Personen in München unter gewissen Mindeststandards unterzubringen. Mit den heutigen Räumungen verlieren die Betroffenen – im Rahmen ihrer extrem marginalisierten Lebensumstände – sogar noch die relative Sicherheit selbstgewählt gemeinsamer und halbwegs trockener Schlaf- und Wohnplätze, an denen sie sich die notwendigste Infrastruktur zusammengebastelt hatten.

Als heute morgen um etwa 7 Uhr die Angestellten der städtischen Behörden in Begleitung der Polizei anrückten, um die Wohnstätten unter der Reichenbachbrücke und der Wittelsbacherbrücke zu räumen, trafen sie schon auf einige Protestierende, die sich mit den Menschen, welche unter den Brücken Schlafplätze und Wohnstätten eingerichtet haben, solidarisierten. Die Polizei, die mit einem Aufgebot von teilweise 6 Einsatzwägen- bzw. Minibussen die Räumungen seit 6.30 Uhr vorbereitete und später absicherte sprach zu Beginn der ersten Räumung mündliche Platzverweise aus gegenüber Personen, welche das Geschehen beobachteten und dokumentierten. Die städtischen Behörden waren mit der Räumung unter der Reichenbachbrücke schon vor 8 Uhr fertig und begannen dann mit der Räumung unter der Wittelsbacherbrücke. Dort hatten 5-6 Personen übernachtet, die sich gezwungen sahen, ihre wichtigsten persönlichen Sachen zusammenzupacken und ihre Wohnstätte zu verlassen. Ein Großteil der Einrichtungsgegenstände und des Mobiliars, mit dem diese ausgestattet waren, wurde im Zuge der Räumung in Containern abtransportiert, wie schon zuvor die nach den Bränden noch vorhandenen Gegenstände unter der Reichenbachbrücke.

Ab 8 Uhr versammelten sich zeitweise bis zu etwa 60 Menschen, unter ihnen 15 obdachlose Personen von der Reichenbachbrücke, deren Eigentum gerade zerstört und geräumt worden war. Sie forderten den sofortigen Stopp der Räumung und menschenwürdigen Wohnraum für alle. Am Sonntag, den 25.11.18, hatten die in der WirWollenWohnen Kampagne organisierten obdachlosen Bewohner*innen der Reichenbachbrücke ihre Forderungen schon gemeinsam aufgeschrieben und veröffentlicht (siehe Erklärung unten) sowie am Montag, den 26.11.18 eine Pressekonferenz vor Ort abgehalten. Sie forderten heute morgen auch gegenüber der anwesenden Öffentlichkeit, die Räumung ihrer teils schon langjährigen Wohnstätten auszusetzen und formulierten konkrete Kritik an den Bedingungen im Kälteschutzprogramm der Bayernkaserne, das ihnen – ohne sie zu ihrer Situation anzuhören – als Alternative angepriesen wurde: „Wir haben dort keine Privatssphäre und keine Kochmöglichkeiten, können uns die Nachbarn in den Mehrbettzimmern nicht aussuchen. Es gibt dort keine Möglichkeiten unser Hab und Gut sicher aufzubewahren. Außerdem müssen wir die Bayernkaserne frühmorgens verlassen und können die Räumlichkeiten tagsüber nicht nutzen. Wir wollen menschenwürdig wohnen und fordern eine Unterkunft, die unser Bedürfnis nach Privatssphäre erfüllt und in der wir uns dauerhaft und ganztägig aufhalten können. Wir wollen keine entwürdigenden Kontrollen von Securities und Polizei, wenn wir uns in unserer Unterkunft aufhalten bzw. diese verlassen.“

Um etwa 9.30 Uhr entschieden die Protestierenden, spontan und lautstark mit ca. 30 Personen zum Amt für Wohnen und Migration zu demonstrieren. Vor dem Amtsgebäude in der Franziskanerstraße fand von ca. 10-12 Uhr eine neuerliche Kundgebung statt. Einige Personen, die unter der Reichenbachbrücke gewohnt hatten, verliehen ihrem Anliegen mit bewegenden und persönlichen Redebeiträgen Nachdruck.  Nach den Redebeiträgen wurden noch fünf der obdachlosen Protestierenden zusammen mit zwei Unterstützer*innen zu ein Gespräch mit dem Amtsleiter vorgelassen.

Abschließend gibt Pauline Wagner von der Initiative Zivilcourage, welche den WirWollenWohnen Protest unterstützt, bekannt: „Wir werden weiterhin Wohnraum für alle fordern und gegen die repressive und rassistische Vertreibung der Armen aus dem städtischen Raum eintreten. Danke an alle, die an den heutigen Aktionen teilgenommen und sich mit den von der Räumung betroffenen Menschen und ihren Forderungen solidarisiert haben!“

WirWollenWohnen-Kampagne 

Kontakt: wirwollenwohnen@riseup.net

 

ANHANG:

Erklärung von obdachlosen Personen zur angekündigten Räumung ihrer Wohnstätten in München am 29.11.2018

Wir fordern die Landeshauptstadt auf, die Wohnstätten von obdachlosen Menschen in München nicht zu räumen.

Wir wohnen derzeit lieber unter der Reichenbachbrücke, als dass wir in der Kälteschutzeinrichtung in der Bayernkaserne übernachten. In der Bayernkaserne müssen wir jeden Morgen das Gelände verlassen und dürfen uns tagsüber dort nicht aufhalten. Dort können wir auch unsere Sachen nicht aufbewahren, weil es keine Schränke oder Schließfächer gibt. Wir haben keine Kochmöglichkeiten. Wir können uns nicht aussuchen, mit wem wir in einem Zimmer schlafen. Oft schlafen mehrere Personen in einem Raum, die ganz unterschiedliche Interessen und Gewohnheiten haben, so dass es oft nicht möglich ist, zur Ruhe zu kommen. Es gibt keinerlei Privatsphäre. Regelmäßig finden in der Früh am Ausgang des Kälteschutzes große Polizeikontrollen statt, denen wir nicht ausweichen können, wenn wir dort geschlafen haben. Immer wieder werden dabei

Personen verhaftet (z.B. wenn wegen mehrmaliger Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültiges Ticket ein Haftbefehl vorliegt), so dass manche Personen den Kälteschutz nicht in Anspruch nehmen, weil sie Angst haben, verhaftet zu werden.

Neben dem Stopp der Räumungsvorbereitungen fordern wir deshalb eine menschenwürdige Unterbringung aller (unfreiwillig) Obdachlosen. Dies heißt für uns unter anderem:

– uns ganztägig und ganzjährig in den Räumlichkeiten aufhalten zu können

– Privateigentum sicher aufbewahren zu können

– Privatsphäre zu haben

– eine Kochmöglichkeit zu haben

– Zimmernachbarn wählen zu können

– dort keine Angst vor Polizeikontrollen haben zu müssen

München, Reichenbachbrücke, 25.11.2018