29.11.18: Kundgebung gegen Räumung unter der Reichenbachbrücke, 8:00 Uhr

Armut bekämpfen, nicht Arme!

Wir fordern, die Räumung von Wohnstätten obdachloser Menschen in München sofort zu stoppen!

Wir fordern eine menschenwürdige Unterbringung aller in München (unfreiwillig) obdachlos lebenden Menschen!

Für den 29.11.2018 haben städtische Behörden die Räumung von sogenannten „Camps“ obdachloser Menschen unter den Isarbrücken angekündigt. Aus diesem Anlass hat eine Gruppe von Menschen, die unter der Reichenbachbrücke Schlaf- und Wohnstätten eingerichtet haben, kollektiv eine Erklärung verfasst (siehe unten). Darin fordern sie die Landeshauptstadt auf, die Räumung zu stoppen und menschenwürdige Unterkunftsmöglichkeiten für wohnungslose Menschen zu schaffen. Um diese Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen und das Geschehen vor Ort kritisch zu begleiten, findet am Tag der Räumung ab 08.00 Uhr morgens eine Kundgebung direkt unter der Reichenbachbrücke statt.

Schon im März 2016 haben die Betroffenen gemeinsam mit anderen wohnungslosen und nicht wohnungslosen Menschen im Rahmen der „Wir wollen wohnen“ – Kampagne ihren Kampf um Wohnraum lautstark auf die Straße getragen. Vieles von dem, was damals gefordert wurde, ist politisch bislang nicht umgesetzt. Die Situation am Wohnungsmarkt hat sich allerdings seitdem massiv verschärft. Es sind derzeit in München bereits über 10.000 Menschen wohnungslos, ein viel größerer Teil der Stadtbevölkerung lebt in unangemessenem (z.B. überbelegten, gesundheitsgefährdendem) Wohnraum, um überhaupt noch die Miete aufbringen zu können. Bis in die Mittelschicht hinein sind Mietbelastungen von über 40 % des Einkommens für viele normal geworden.

Ein großer Teil der Münchner Bevölkerung kämpft hier also alltäglich um das eigene Zuhause – jedoch sind die Menschen, die bereits obdachlos sind, am stärksten betroffen von der steigenden Konkurrenz um Mietwohnungen und um Plätze im Wohnungslosenhilfesystem. Mit der angekündigten Räumung sollen sie nun auch noch aus dem Stadtbild vertrieben werden. Hiermit wählt die Stadt das gewaltsame ‚Unterdenteppichkehren‘ zugunsten eines zwanghaft sauberen Images als ihre Antwort auf Armut, Ausbeutung und Ausgrenzung. Der Verweis auf die Übernachtungsplätze im Kälteschutzprogramm ist in unseren Augen auch keine auf Dauer aushaltbare Alternative, sondern humanitäre Notlösung. Der Kälteschutz entbindet die Stadt nicht von der Pflicht, für Menschen in Wohnungsnot angemessene Unterbringung zu organisieren, die den Forderungen der Reichenbach-Erklärung entspricht. Und schließlich ist auch die kommunale Notunterbringung in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe keine Lösung des Problems, sie verursacht vielmehr auf Dauer eine Menge Folgeprobleme. Die Stadt sollte stattdessen das langfristige Ziel haben, alle (unfreiwillig) wohnungslosen Menschen in eigenen mietvertraglich und mietrechtlich gesicherten Wohnraum zu vermitteln.

Die Wohnungsfrage ist die drängendste soziale Frage dieser Zeit. Sie lässt sich durch Repression nicht lösen. Weil auch wir betroffen sind oder betroffen sein könnten, rufen wir auf zur Solidarität. Donnerstagfrüh 08.00 Uhr Reichenbachbrücke. Kommt vorbei, seid laut, seid solidarisch!

Wir-wollen-wohnen-Kampagne

Kontakt: wirwollenwohnen@riseup.net

ANHANG:

Erklärung von obdachlosen Personen zur angekündigten Räumung ihrer Wohnstätten in München am 29.11.2018

Wir fordern die Landeshauptstadt auf, die Wohnstätten von obdachlosen Menschen in München nicht zu räumen.
Wir wohnen derzeit lieber unter der Reichenbachbrücke, als dass wir in der Kälteschutzeinrichtung in der Bayernkaserne übernachten. In der Bayernkaserne müssen wir jeden Morgen das Gelände verlassen und dürfen uns tagsüber dort nicht aufhalten. Dort können wir auch unsere Sachen nicht aufbewahren, weil es keine Schränke oder Schließfächer gibt. Wir haben keine Kochmöglichkeiten. Wir können uns nicht aussuchen, mit wem wir in einem Zimmer schlafen. Oft schlafen mehrere Personen in einem Raum, die ganz unterschiedliche Interessen und Gewohnheiten haben, so dass es oft nicht möglich ist, zur Ruhe zu kommen. Es gibt keinerlei Privatsphäre. Regelmäßig finden in der Früh am Ausgang des Kälteschutzes große Polizeikontrollen statt, denen wir nicht ausweichen können, wenn wir dort geschlafen haben. Immer wieder werden dabei
Personen verhaftet (z.B. wenn wegen mehrmaliger Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ohne gültiges Ticket ein Haftbefehl vorliegt), so dass manche Personen den Kälteschutz nicht in Anspruch nehmen, weil sie Angst haben, verhaftet zu werden.

Neben dem Stopp der Räumungsvorbereitungen fordern wir deshalb eine menschenwürdige Unterbringung aller (unfreiwillig) Obdachlosen. Dies heißt für uns unter anderem:
– uns ganztägig und ganzjährig in den Räumlichkeiten aufhalten zu können
– Privateigentum sicher aufbewahren zu können
– Privatsphäre zu haben
– eine Kochmöglichkeit zu haben
– Zimmernachbarn wählen zu können
– dort keine Angst vor Polizeikontrollen haben zu müssen

München, Reichenbachbrücke, 25.11.2018

Pressemeldungen zum aktuellen Protest unter der Reichenbachbrücke:

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/reichenbachbruecke-obdachlose-protest-1.4229274

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/kommentar-wuerde-ist-mehr-als-nur-ein-bett-1.4229884

https://www.tz.de/muenchen/stadt/muenchen-ort29098/muenchner-obdachlose-unter-reichenbachbruecke-flehen-wir-wollen-bleiben-10761666.html