Monthly Archive for April, 2010

Bulgarische Münchner fordern Respekt, mehr Rechte und das nicht nur auf dem Papier

Wir sind nicht nur europäische, sondern auch Münchner Bürger!

Der diesjährige Tag der Arbeit, der 1. Mai, wird zum Auftakt einer
außergewöhnlichen sozialen Bewegung in München. In prekären
Verhältnissen lebende bulgarische Münchner nehmen an der DGBDemonstration teil, um gemeinsam mit ihren Mitbürger_innen “Gute
Arbeit, gerechte Löhne und einen starken Sozialstaat”, so der DGB, zu
fordern. Die Demonstration beginnt um 9.45 Uhr am Gewerkschaftshaus
in der Schwanthalerstraße, um 11 Uhr findet eine Kundgebung am
Marienplatz statt. Danach sind die bulgarischen Münchner von den
Kammerspielen eingeladen, am Straßenfest in der Goethestraße den Maibaum aufzustellen.

Seit 2007 gehört Bulgarien zur EU. Seitdem sind über 300 Arbeiter_innen, oft mit Familien und Kindern, aus Bulgarien nach München gekommen. Hier leben viele unter prekären Bedingungen:
ohne angemessenen Wohnraum oder auf der Straße, Diskriminierungen von Münchner Mitbürger_innen und Beamt_innen ausgesetzt, in ausbeuterischen Auftrags und Arbeitsverhältnissen.

Denn auch wenn die neuen EUBürger_innen Freizügigkeit genießen, sind ihre Arbeitsrechte extrem eingeschränkt. Arbeiten dürfen sie offiziell als Selbstständige, oder wenn ein zukünftiger Arbeitgeber bereits sechs Wochen vor Antritt prüfen lässt, ob für die Arbeitsstelle ein_e Arbeiter_in mit uneingeschränkter Arbeitserlaubnis in Frage kommt. So lautet das Gesetz, die Praxis ist noch viel unwegsamer. Sebahattin M. sagt:

“Arbeitspapiere zu bekommen ist rechtlich oft unmöglich und praktisch immer schwierig. Allein der bürokratische Aufwand hält die meisten Arbeitgeber davon ab, uns zu beschäftigen. Meist kennen wir unsere Rechte und die Bürokratie nicht einmal. Da wir aber arbeiten müssen, um zu überleben und unsere Familien zu ernähren, sind wir gezwungen, alle möglichen schlecht bezahlten und unsicheren Jobs anzunehmen”.

Vereinbarte Löhne werden oft nicht ausgezahlt, bei Arbeitsunfällen sind sie nicht geschützt.
Der Status der Selbständigen wird außerdem oft von den Auftraggebern ausgenutzt, um bestimmte Verpflichtungen zu umgehen und Kosten einzusparen (sog. Scheinselbstständigkeit), die für Arbeitnehmer zu zahlen sind. Die Arbeits- und Auftragssuche wird mangels anderer Möglichkeiten auf Straßenkreuzungen verdrängt. Frauen arbeiten oft in privaten Haushalten in der Pflege oder als Putzkraft. Viele Frauen sind für die Unterhaltskosten ihrer Familie auf Almosen angewiesen. Dabei
werden sie für Abhängige einer imaginären Bettelmafia gehalten und eher beschimpft als mit Unterstützung versehen.

“In Bulgarien sehen wir aber noch weniger Zukunft für uns. Wo sollen wir hin?”

Ämter und soziale Einrichtungen schlagen ihnen die Türe vor der Nase zu. Möglichkeiten zur Weiterbildung, etwa durch viel gewünschte Deutschkurse und Informationsveranstaltungen über Rechte und bürokratische Prozeduren fehlen oder sind nicht erreichbar.

Gemeinsam mit der unabhängigen Initiative für Zivilcourage und ver.di ergreifen sie nun die Initiative und nehmen ihre Situation selbst in die Hand. Neben einzelnen Erfolgen auf Münchner Ämtern und Gerichten hat bereits ein selbstorganisierter Treffpunkt und Aufenthaltsraum Gestalt angenommen. In dem von den Münchner Kammerspielen für das Projekt “Munich Central” angemieteten Raum in der Goethestrasse 30, findet neben Teetrinken, Diskutieren und Luftschnappen auch schon ein regelmäßiger Deutschkurs statt und ver.di wird arbeitsrechtliche Beratung anbieten.

Flyer: Ausgegrenzt und Ausgebeutet

Ausgegrenzt und Ausgebeutet
Wir wollen Respekt und mehr Rechte – nicht nur auf dem Papier!

Seit 2007 gehört Bulgarien zur EU. Seitdem sind viele von uns (mehr als 300) als ArbeiterInnen, unter anderem mit Familien und Kindern, aus Bulgarien nach München gekommen. Hier leben wir teilweise unter entsetzlichen Bedingungen, oft ohne Wohnung, Essen, Wasser und medizinische Versorgung. Aber in Bulgarien sehen wir noch weniger Zukunft für uns.

Wir werden hier als Menschen 2. Klasse behandelt und werden alltäglich mit Ressentiments und Diskriminierungen konfrontiert!

Wir verstehen zum Beispiel nicht, warum Bulgarien zur EU gehört, und wir trotzdem nicht wie freie EU-Bürger behandelt werden. Die Polizei kontrolliert uns regelmäßig, obwohl sie uns schon kennt und unsere Papiere in Ordnung sind. Wir dürfen uns legal in Deutschland aufhalten und wir haben ein unbefristetes Aufenthaltsrecht(Freizügigkeit). Unser Problem ist:

Wir haben meist keine Arbeitserlaubnis!

Arbeitspapiere zu bekommen ist rechtlich oft unmöglich und praktisch immer schwierig, auch weil wir unsere Rechte und die Bürokratie nicht kennen. Viele gute Leute, die uns einstellen möchten, haben Angst, weil wir keine Arbeitspapiere haben. Finden wir einen Arbeitsplatz, muss erst sechs Wochen geprüft werden, ob ihn ein Deutscher haben will. Allein der bürokratische Aufwand hält die meisten Arbeitgeber davon ab, uns zu beschäftigen. Arbeiten dürfen wir offiziell als Selbstständige. Es ist aber oft zu schwierig, die geforderten Formulare und Anmeldungen korrekt zu bearbeiten. Wir haben keine Möglichkeiten, uns über die Erfordernisse zu informieren. Der Status der Selbständigen wird außerdem oft von den Auftraggebern ausgenutzt, um bestimmte
Verpflichtungen zu umgehen und Kosten einzusparen (sog. Scheinselbstständigkeit), die für Arbeitnehmer zu zahlen sind, u.a. Sozialversicherungsbeiträge, aber auch betriebliche Sozialleistungen. Immer wiederkehrende Probleme sind, dass die vereinbarten Löhne nicht ausgezahlt werden und wir bei Arbeitsunfällen nicht geschützt sind, gerade wenn Arbeitnehmer in kleineren Betrieben ohne einen schriftlichen Arbeitsvertrag beschäftigt werden. Da wir aber arbeiten müssen, um zu überleben und unsere Familien zu ernähren, sind wir gezwungen, alle möglichen schlecht bezahlten und unsicheren Jobs anzunehmen.

Unsere finanzielle Situation ist prekär!

Viele von uns wohnen bei wohlgesonnenen Landsleuten oder auf der Straße. Wir finden keine billigen Unterkünfte, z.B. in privaten Wohnheimen, weil sie uns dort einfach nicht aufnehmen, u.a. weil wir türkische Bulgaren sind. Viele Männer und Frauen stehen täglich auf den Bürgersteigen im Westend und warten hier auf Beschäftigung. Die
Geschäftsinhaber vertreiben uns oft vor ihren Läden, viele verhalten sich feindlich. Aber wo sollen wir hin?

Wir fordern daher:
· Möglichkeiten zu Weiterbildung z.B. über unsere Rechte, über
bürokratische Verfahren und Deutschkurse

· Arbeitserlaubnis in der EU, einfachere und schnellere Verfahren!

· In Fällen von Wohnungs- und Arbeitsnot Zugang zu Sozialleistungen
(SGB II) und Hilfe bei der Wohnungssuche!

· Wir brauchen dringend medizinische Versorgung durch Ärzte für unsere
Kranken, Alten und Kinder

· Respekt von Behörden und MitbürgerInnen und ein Ende der täglichen
Polizeikontrollen!

· Einen Aufenthaltsraum/ Treffpunkt für ArbeiterInnen, weg von der
Straße!

Lohnbetrug: 20 Erfolge!

Pressemitteilung der Initiative vom 22.04.10
Vier Arbeiter erkämpfen ihr Recht, weiteren 13 ist der Erfolg zum Greifen nahe!
Vier weitere türkische Werkvertragsarbeitnehmer erstritten heute ihren Lohn in Summen von 7.000 bis 10.000 Euro vom Subunternehmen ARA. Berufungen wurden im Vorhinein nicht gesondert zugelassen (Aktenzeichen 12 CA7266/09 – 12 CA 7269/09). Das Generalunternehmen Joachim Bauer GmbH hatte in einem Vergleich im Dezember 2009 schon für die Zahlungen gebürgt und ist somit nicht mehr beklagt. Auch die beiden Bauarbeiter, die Januar bereits gewonnen hatten, aber nun in 2. Instanz weiterstreiten müssen, werden aller Aussicht nach wieder ihr Recht bekommen.
Ebenso die 13 Männer, die hinter den heute verhandelten Fällen (Aktenzeichen 16 Ca 7289 bis 16 Ca 7302) stehen: Die Richterin liess ihre Zustimmung zur Klage deutlich erkennen und trifft ihr Urteil heute noch. Dieses wird postalisch versendet. Mit dem Kläger A.V., dessen Versäumnisurteil noch nicht in Frage gestellt wurde, haben nun insgesamt 20 der 44 anfänglichen Kläger gewonnen oder sind dem Erfolg zum Greifen nahe. Neun haben, wohl auf Druck des Subunternehmens hin, ihre Klage nicht mehr weiter verfolgt.

Wieso haben 44 türkische Bauarbeiter Klage erhoben?
Im Mai 2009 haben 44 türkische Bauarbeiter am Münchner Arbeitsgericht Klage wegen Lohnbetrug
und misslichen Arbeitsbedingungen gegen ihre Arbeitgeber erhoben.
Ihnen wurde weder der gesetzliche Mindestlohn von 12,85 noch der mündlich vereinbarte Lohn von meist 4,50 Euro die Stunde ausgezahlt. Stattdessen erhielten sie meist nur etwa drei Euro Stundenlohn; sie mussten überdies massiv Überstunden leisten und haben keinen Urlaub erhalten. Des Lesens und Schreibens sind einige der 44 Arbeiter kaum mächtig. Alle leisteten mehrere Blankounterschriften (Kontovollmacht, Schuldscheine, Urlaubsantrag, Zahlungsnachweise etc.), mit denen das Subunternehmen in der Lage war, offizielle Dokumente – vom Stundenzettel bis zu Zahlungsnachweisen – zu fälschen. Somit täuschten sie einerseits ein legales Vorgehen des Unternehmens vor, schafften sich aber gleichzeitig auch Möglichkeiten, die ArbeitnehmerInnen unter Druck zu setzen. Werkvertragsarbeiter1 dürfen nur für einen begrenzten Zeitraum (6 – 24 Monate) in ausgewählten Sektoren (Bau, Gebäudereinigergewerbe etc.) arbeiten. Ihre Aufenthaltserlaubnis ist an das Arbeitsverhältnis gebunden: Die Aufenthaltsgenehmigung erlischt mit Ablauf des Arbeitsvertrages, ein Arbeitsplatzwechsel ist ausgeschlossen. Tarifvertraglich geregelte Arbeitsrechte müssen (theoretisch) auch Werkvertragsarbeitern gewährt werden – wie dieser Fall zeigt, werden sie aber häufig systematisch umgangen. Zusätzlich untermauert die Koppelung der Aufenthaltserlaubnis an ihren Arbeitsvertrag – sie konnten sich also keine andere Arbeit suchen, ohne in die aufenthaltsrechtliche Illegalisierung zu rutschen – und der Mangel an politischer und juristischer Vertretung die Abhängigkeit und Prekarität des Arbeitsverhältnisses institutionell. Im Gegensatz zu vielen anderen WerkvertragsarbeiterInnen entschlossen sich die 44 türkischen Bauarbeiter – nach einer Razzia des Zolls – Widerstand zu leisten und Klage zu erheben. Am 3. Juli 2009 war der erste Verhandlungstag ihrer Klage vor dem Arbeitsgericht München. Die Männer waren, ohne Arbeitsverhältnis und somit mit erloschener Aufenthaltsgenehmigung, längst wieder in der Türkei.

Wie reagierten die Verantwortlichen auf diesen Fall von Betrug nicht nur um Lohn, sondern auch um Arbeits- und Menschenrechte?
Der Subunternehmer bedroht die Arbeiter und ihre Familien in der Türkei systematisch mit erpressten Schuldscheinen und fordert die Rücknahme der Klagen. Gleichzeitig zweifeln sie die gefaxten Vollmachten der Arbeiter vor Gericht an, so dass ihre Anwältin neue Vollmachten von den oft analpabetischen und eingeschüchterten Arbeitern in der Türkei erfragen musste. Ausserdem setzten sie einen Arbeiter unter Druck, eine vorverfasste Aussage zu unterschreiben, die die Anwältin und einen weiteren ehrenamtlichen Unterstützer der Arbeiter der Korruption und eigennützlichen Verschwörung beschuldigte.
Die Auftraggeber, unter ihnen der ADAC und die Münchner Immobilien Gruppe, verantwortlich für den Bau der Skyline Tower, die offenbar ohne kritisches Hinterfragen dem kostengünstigsten Subunternehmen den Zuschlag gaben, streiten jede Verantwortung ab.
Die Staatsanwaltschaft hat bis jetzt keine Anklage gegen die Unternehmen erhoben.
Die Gesetzgeber zeigen kein Interesse, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu reformieren.

Nächstes Treffen am 20. April

Am 20. April findet unser nächstes offizielles Treffen statt. 20 uhr im Kulturzentrum Wörthhof, Wörthstr 10. Ihr seid herzlich eingeladen.
Wir werden sowohl unsere Handlungsmöglichkeiten in Zusammenarbeit mit unseren osteuropäischen Bekannten als auch den Werkvertragsarbeiter_innen besprechen.

Rückschlag: Werkvertrags-Arbeitgeber legen Berufung ein

Im Fall der zwei im Januar gewonnenen Fälle haben die Anwälte der Firma Ara Berufung eingelegt. Die Verhandlungen gehen vor dem Landesarbeitsgericht weiter. Aller Einschätzung nach werden sie wieder positiv für die Kläger verlaufen, falls diese trotz ihrer schwierigen Lage in der Türkei ihre Klage aufrecht erhalten.

(Halbe?) EU-Bürger_innen & Infostand

Der Infotisch in der Goethestrasse am 26. März ist auf sehr großes Interesse gestoßen.
Neben Diskussion und Begegnung mit vielen Passant_innen, der neuen Beratungsstelle bei ver.di und auch Polizisten, haben wir vor allem Arbeitssuchende/Tagelöhner aus neuen EU-Beitrittststaaten kennengelernt, die unter sehr prekären Verhältnissen leben und arbeiten.

Wir planen mit ihnen gemeinsam an der 1. Mai Demo in München teilzunehmen und auch evtl tragfähige Strukturen zur Verbesserung ihrer Situation aufzubauen. Mit einigen haben wir schon, in Zusammenarbeit mit der neuen verdi-Beratungsstelle, kleine Siege im Markt- und Ämterdschungel erkämpfen können.